Charlotte Elisabeth Sophie Louise Wilhelmine[1] von Ahlefeld, geb. von Seebach (* 6. Dezember 1777 in Stedten;[2][3] † 27. Juli 1849 in Teplitz) war eine deutsche Schriftstellerin. Pseudonyme: Elisabeth Selbig, C., Natalie, „Verfasserin der Marie Müller, der Erna, der Felicitas“ usw.
Familie
Charlotte war das jüngste Kind des hannoveranischen Regimentskommandanten Alexander Christoph August von Seebach (* 24. November 1735[4], † 17. März 1811 in Halle[5]) und seiner Ehefrau Albertine Auguste Wilhelmine geb. von Ingersleben (* 13. Mai 1747[4], † 12. März 1813[6]).[7] Sie wuchs mit vier Geschwistern auf:
- Carl Otto August Alexander (* 10. Juni 1767[4], † 13. Februar 1816[8]). Charlottes ältester Bruder war ihr „der liebste von allen [ihren] Geschwistern, und unendlich gut und freundlich gegen [sie] gesinnt“. Er reiste 1792 „nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung“, galt als verschollen und kündigte sich Anfang Juni 1804 in Weimar an.[9]
- Friedrich (* 17. November 1768[4], † 22. Mai 1847[10]). Friedrich erlangte hohe Positionen im Herzogtum.[11] Er verehelichte sich 1800 mit Henriette Sophie Wilhelmine geb. von Stein-Nordheim (* 1773/1774, † 24. November 1817[12]). Das Ehepaar hatte drei überlebende Kinder; das älteste:
- Amalie Caroline Charlotte Wilhelmine Louise Henriette (1802‒1879). Sie heiratete 1821 den späteren Kammerherrn Ludwig von Groß.[13] Etwa ab 1828 war sie schriftstellerisch tätig, überwiegend unter dem Pseudonym „Amalie Winter“.
- Ludwig (Louis) Ernst Rudolph Gustav (* 3. Oktober 1770[4], † 21. August 1841 in Zillbach[14]). Louis war 1795 Hof- und Jagd-Junker,[15] später wurde er Oberforstmeister.[11] Louis verehelichte sich am 21. Mai 1798 mit Caroline Christiane Auguste von Beulwitz († 7. Mai 1803[16]).[17]
- Amalia (Amélie) Constantine Louise Henrietta (* Januar 1773[18], † 14. Mai 1860[19]). Amélie verehelichte sich am 21. Mai 1798 mit Carl von Stein (1765‒1837).[17]
Charlotte verlobte sich am 23. Februar 1798[20] mit dem Gutsbesitzer Johann Rudolf von Ahlefeld[21] (* 1. Januar 1775, † 25. November 1848) auf Saxtorf, Sehestedt[22] und Ludwigsburg. Bei der Eheschließung am 21. Mai des Jahres im Haus der Frau von Stein wurden zugleich drei weitere Paare getraut, darunter ihre Schwester Amélie und ihr Bruder Louis.[17] Das Paar hatte drei Söhne: Friedrich (1799–1862), Erich (1800–1853) und Hermann (1806–1855).[23]
Sehr bald nach der Eheschließung wurde Charlotte klar, dass sie keinerlei Gemeinsamkeiten mit ihrem Ehemann hatte. Ab etwa Herbst 1802 hielt sie sich ohne ihre Familie in Weimar auf. Dort traf sie auf ihren Jugendfreund Friedrich von Linker[24], der ihre „erste Jugend durch seine innige Anhänglichkeit verschönerte“[25]. Linker drängte sie, sich scheiden zu lassen und ihn zu heiraten; Charlotte lehnt den Gedanken nach inneren Kämpfen ab.[26]
Wenig später ‒ von Februar bis August 1803 ‒ erlebte Charlotte in Weimar eine stürmische Beziehung zu dem Bildhauer Friedrich Tieck. Am 1. Januar des Jahres sah sie ihn zum ersten Mal;[27] beim Geburtstagsball des Prinzen (Carl Friedrich) am 2. Februar sprachen sie zum ersten Mal miteinander;[28] zum Ende Februar sahen sie sich „immer öfterer und endlich täglich“.[29] Am 20. August musste Charlotte Weimar verlassen und zu ihrer Familie nach Saxtorf zurückkehren;[30] die Beziehung zu Tieck setzte sich in einem intensiven Briefwechsel fort, der ab Frühjahr 1805 allmählich ausklang.
Obwohl Charlotte schon 1803 völlig entschlossen war, „in gänzlicher Absonderung“ von ihrem Ehemann zu leben,[31] führte sie erst nach der Geburt ihres dritten Kindes 1807 eine formale Trennungsvereinbarung herbei.[32] In der Folge lebte sie einige Jahre in Schleswig als freie Schriftstellerin.
Nach dem Tod einer Freundin in Dresden etwa Ende 1819 nahm sie deren drei kleine Söhne in Pflege. Sie versorgte sie, bis sie sie bei Fröbel in Keilhau unterbringen konnte, und unterstützte sie bis in die 1840er Jahre.[33]
Wirken
Einige Aufsätze, die Charlotte als Zehnjährige verfasste, sollen Goethe beeindruckt haben. Ende 1797 brachte sie ihren heimlich geschriebenen ersten Roman Liebe und Trennung oder merkwürdige Geschichte der unglücklichen Liebe zweyer Fürstlicher Personen jetziger Zeit mit der Hilfe einer Freundin[34] heraus.
1799 veröffentlichte sie ihren zweiten Roman, Maria Müller, der lange Zeit ein enormer Publikumserfolg war. Sie veröffentlichte mehr als 30 Romane und Erzählbände und einen Band Gedichte, meist unter Pseudonymen, wie es damals für weibliche Autoren üblich war. „Ihre damals viel gelesenen Unterhaltungsromane und Erzählungen folgen dem Muster des klassizistischen Romans bzw. rationalistischen Familienromans und behandeln häufig (in die Ritterzeit versetzt) Liebeskonflikte, die mit Entsagung enden.“[35]
Im Herbst 1821 lebte Charlotte von Ahlefeld wieder in Weimar, um Goethe und Frau von Stein nahe zu sein. Befreundet war sie außerdem mit Sophie Mereau. Sie korrespondierte mit Clemens Brentano.[36]
Ihr literarisches Schaffen endete 1832 mit der Erzählung Der Stab der Pflicht. Bis an ihr Lebensende lebte sie zurückgezogen, hatte aber brieflichen Kontakt mit ihren Verlegern und Freunden. 1846 zog sie nach Bad Teplitz aus gesundheitlichen Gründen. Am 25. November 1848 starb ihr Ehemann auf seinem Gut in Sehestedt und hinterließ ein beträchtliches Vermögen.[37] Charlotte starb wenig später in Bad Teplitz; dort erhielt sie neben Seume ein Denkmal.[38] Sie wurde in Prag begraben.[39]
Ihr Teilnachlass wird im Thüringischen Staatsarchiv Rudolstadt aufbewahrt.[40] In der Datenbank Kalliope werden 59 Handschriftensätze von ihr nachgewiesen.
Schriften (Auswahl)
Es gab ein eigenhändig verfasstes Werkverzeichnis (1 Seite oktav) von Charlotte von Ahlefeld, das in dem Katalog „Der Autographensammler. Eine Katalogfolge des Antiquariats J. A. Stargardt. Neue Folge. 4. Jg. Nr. 1 vom Januar 1954“ unter Position 8 angeboten wurde. Über dessen Verbleib ist nichts bekannt.
Bücher
Beiträge in Almanachen usw.
- [anonym:] Die Bekanntschaft auf der Reise. Eine wahre Geschichte. In: Journal der Romane. Drittes Stück. Berlin 1801, S. 1‒216.
- Neuausgabe in: Die Bekanntschaft auf der Reise / Autun und Manon: Zwei Erzählungen. Hofenberg, Berlin 2016, ISBN 978-3-8430-9993-6.
- Der Schiffer und seine Braut.[45] Von der Verfasserinn der Maria Müller. In: Taschenbuch für das Jahr 1809. Der Liebe und Freundschaft gewidmet. Frankfurt am Mayn o. J., S. 119‒145.
- Chamouny. Ein Fragment aus einem Reisejournal, Caroline von L.[42] gewidmet; und Gedicht, von Charlotte von Ahlefeld. In: Urania. Taschenbuch auf das Jahr 1810, Amsterdam o. J., S. 42‒65 und 128‒131.
- C.: Die Waldfahrt im Mondschein. In: Zeitung für die elegante Welt, 11. Jg., 10. Oktober 1811, Spalte 1611‒1615.
- Gedichte, von Charlotte von Ahlefeld, geb. von Seebach. In: Taschenbuch zum geselligen Vergnügen. 21. Jg. 1811, S. 110, 237f. und 328‒330.
- Charlotte von Ahlefeld, geb. von Seebach: Die Fußtapfen des Löwen, eine orientalische Erzählung.[45] In: Taschenbuch für das Jahr 1812. Der Liebe und Freundschaft gewidmet. Frankfurt am Mayn o. J., S. 113‒130.
- Die Nymphe des Rheins;[45] und Gedichte, von Charlotte von Ahlefeld, geb. von Seebach. In: Taschenbuch zum geselligen Vergnügen. 22. Jg. 1812, S. 1‒26, 90f., 172 und 288‒290.
- Charlotte von Ahlefeld, geb. von Seebach: Selbstverläugnung, eine Erzählung aus den Ritterzeiten.[45] In: Taschenbuch für das Jahr 1813. Der Liebe und Freundschaft gewidmet. Frankfurt am Mayn o. J., S. 21‒46.
- Charlotte von Ahlefeld, geb. von Seebach: Die beiden Pilger. Eine Erzählung; und Gedicht. In: Taschenbuch für das Jahr 1814. Der Liebe und Freundschaft gewidmet. Frankfurt am Mayn o. J., S. 7‒88, und S. 211.
- Charlotte von Ahlefeld: Liebe und kindliche Pflicht. Eine Erzählung. In: Taschenbuch für das Jahr 1816. Der Liebe und Freundschaft gewidmet. Frankfurt am Mayn o. J., S. 207‒230.
- Die Erscheinung. Eine Legende, von Elisabeth [S]elbig. In: Penelope. Taschenbuch für das Jahr 1819 der Häuslichkeit und Eintracht gewidmet. Leipzig o. J., S. 26‒37.
- Edmunds Schicksale,[45] von Elisabeth Selbig. In: Penelope. Taschenbuch für das Jahr 1820 der Häuslichkeit und Eintracht gewidmet. Leipzig o. J., S. 102‒184.
- Anselma von Norfeld. Erzählung von Elise Selbig. In: Taschenbuch für das Jahr 1821. Der Liebe und Freundschaft gewidmet. Frankfurt am Mayn o. J., S. 1‒40.
Sammelbände von Erzählungen usw., herausgegeben von Elisabeth Selbig und Wilhelmine Willmar
bei Goedsche in Meißen
- Der Kranz.
- Schmetterlinge.
- Erste Sammlung (Erato), 1819. (darin: Schuster, bleibʼ bei deinem Leisten, oder die Folgen der Verfeinerung, da, wo sie nicht hingehören. Ein Fragment aus dem Familienleben eines einfachen Landmannes (S. 71‒150); Die Legende von der heiligen Agneta (S. 177‒202); Gedichte.)
- Zweite Sammlung (Iris), 1820. (darin: Liebe und Verrath. Eine Erzählung (S. 89‒172).)
- Dritte Sammlung (Hector), 1821.
Briefausgaben
- [J. Trainer:] Liebe und Trennung. Charlotte von Ahlefelds Briefe an Christian Friedrich Tieck herausgegeben und kommentiert von James Trainer. Peter Lang, Bern 1999. ISBN 3-906761-87-8. (151 Briefe vom 3. Mai 1803 bis 15. Januar 1806)
- Lorely French: Briefe von Wilhelmine Geißler, Charlotte von Ahlefeld und Henriette Schubart an Sophie Mereau. In: Katharina von Hammerstein, Katrin Horn (Hrsg.): Sophie Mereau. Verbindungslinien in Zeit und Raum. Heidelberg 2008 (ISBN 3-8253-5384-2), S. 405–414
Für eine Vertiefung des Porträts von Charlotte von Ahlefeld kann man sich auf ihre literarische Bedeutung im Kontext ihrer Zeit, die spezifischen Merkmale ihrer Werke und ihre Rolle als freie, schreibende Frau konzentrieren.
Charlotte von Ahlefeld war eine wichtige Vertreterin und Mitbegründerin des sogenannten „Frauen- und Familienromans“, einem populären literarischen Genre im 19. Jahrhundert.
- Verbindende Rolle: Ihre Romane und Erzählungen spielten im Übergang zwischen Klassizismus, Romantik und Biedermeier eine Rolle. Sie schrieb für ein breites Publikum aus Adel und Bürgertum und behandelte darin oft die emotionalen Herausforderungen von Frauen innerhalb gesellschaftlicher Konventionen.
- Thematische Schwerpunkte: Im Zentrum ihrer Werke standen oft Liebesgeschichten, Eheprobleme und die soziale Stellung von Frauen. Sie spiegelte das empfindsame Lebensgefühl ihrer Zeit wider, zeigte aber auch den Bruch mit gesellschaftlichen Normen, wie es in ihrem eigenen Leben durch die Scheidung geschah.
- Literarische Qualität: Goethe, den sie persönlich kannte, schätzte ihre literarischen Fähigkeiten und äußerte sich positiv über ihre frühen Werke. Ihre Prosa und Lyrik unterstreichen die künstlerische Sensibilität, die sie auch abseits der reinen Unterhaltungsliteratur bewies.
Merkmale ihrer Werke
Einige von Ahlefelds Werke weichen von den typischen Konventionen ab, was ihre literarische Eigenständigkeit unterstreicht.
- Liebe und Trennung (1797): Dieser frühe Roman stellt bereits die Ambivalenz des Themas dar, das für ihr gesamtes Schaffen prägend blieb.
- Der Mohrenknabe (1821): Dieses Werk ist ein Beispiel für ihre Auseinandersetzung mit exotischen Themen.
- Die Frau von 40 Jahren (1829): Ahlefelds Romane beschäftigten sich mit verschiedenen Lebensaltern und -situationen von Frauen.
- Emanzipation durch Erzählung: In einigen ihrer Geschichten, wie etwa im Roman Therese, emanzipiert sich die weibliche Protagonistin, indem sie den gesellschaftlichen Erwartungen zuwiderhandelt, um ihre eigene Identität zu finden. Dies deutet auf eine kritische Auseinandersetzung mit der Frauenrolle hin.
Rolle als freie Schriftstellerin
Die Scheidung von ihrem Ehemann im Jahr 1807 war für Ahlefeld ein entscheidender Wendepunkt. Dieser Schritt erlaubte es ihr, als unabhängige Frau und freie Schriftstellerin zu leben.
- Wiederanschluss an Weimarer Kreise: Nach ihrer Rückkehr nach Weimar im Jahr 1821 fand sie wieder Anschluss an den Kreis um Goethe und Charlotte von Stein, was ihre literarische Tätigkeit erneut beflügelte.
- Produktive Schaffensphase: Sie schrieb mehr als 50 Romane, Erzählungen und Gedichte. Ihre Produktivität trug maßgeblich zur Etablierung des Frauen- und Familienromans bei, einem Genre, das oft weniger Beachtung fand als die Werke männlicher Autoren.
- Pseudonyme: Um ihre Werke zu veröffentlichen, verwendete sie Pseudonyme wie Elise Selbig, Ernestine und Natalie, was bei weiblichen Autorinnen ihrer Zeit nicht unüblich war.
Rezeptionsgeschichte
Ahlefelds Werk wurde zu ihrer Zeit von einem breiten weiblichen Publikum gelesen und geschätzt. Nach ihrem Tod geriet sie jedoch wie viele andere schreibende Frauen in Vergessenheit.
- Forschungsinteresse: Erst in der neueren Forschung, insbesondere in der feministischen Literaturwissenschaft, wird ihr Werk wiederentdeckt und gewürdigt. Es wird beleuchtet, wie sie mit ihren Texten die emotionalen und sozialen Herausforderungen von Frauen thematisierte und die Entwicklung des Romans im 19. Jahrhundert mitgestaltete.
- Korrespondenz: Ihre Briefe, etwa an Christian Friedrich Tieck oder Sophie Mereau, geben Aufschluss über ihr Leben, ihre literarische Arbeit und ihre Beziehungen zu anderen Künstlern und Intellektuellen ihrer Zeit